Bei wie vielen Arbeitsstunden pro Woche liegt die maximale Produktivität? Diese Frage habe ich mir während des Doktorats manchmal gestellt. Man kennt das Dilemma: Die Aufgaben häufen sich, Papers müssen geschrieben, Probleme gelöst, Vorträge vorbereitet werden, und die Arbeitstage werden immer länger. Irgendwann kommt der Punkt, an dem man sich fragt, ob es für die Arbeit nicht besser wäre, einfach nach Hause zu gehen und zu schlafen. Vermutlich ist in den meisten dieser Fälle “ja” die richtige Antwort. Aber einmal nüchtern betrachtet: Gibt es einen Punkt, an dem es sich schlicht nicht mehr lohnt, weiter zu arbeiten?

Tatsächlich gibt es eine datengestützte Antwort auf diese Frage. Sie beruht auf Forschung über den Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Produktivität, insbesondere auf dem Paper The Productivity of Working Hours von John Pencavel, Wirtschaftsprofessor an der Stanford University. Pencavel untersucht darin Daten, die während des Ersten Weltkriegs in Grossbritannien erhoben wurden.

Mit Kriegsausbruch 1914 beschloss die britische Regierung, die Arbeitszeitregelungen in den Rüstungsbetrieben aufzuheben. Bald waren Arbeitszeiten von 70 bis 90 Stunden pro Woche üblich, Wochen mit mehr als 90 Arbeitsstunden waren keine Seltenheit, und es gab sogar Fälle, in denen mehr als 100 Stunden pro Woche gearbeitet wurde. Auch Sonntagsarbeit wurde wieder eingeführt. Als Reaktion auf die Kritik an den langen Arbeitszeiten wurde schliesslich im September 1915 das Health of Munition Workers Committee (HMWC) gegründet. Neben Themen wie Hygiene, Gesundheit und Unfällen beschäftigte es sich mit dem Zusammenhang zwischen der Arbeitszeit und der Produktivität in den britischen Rüstungsbetrieben.

Dazu wurden über einen Zeitraum von etwa einem Jahr (1916) die Arbeitszeiten und Produktionsleistungen von vier verschiedenen Gruppen von Arbeitern erfasst. Es handelte sich um etwa 100 Frauen mit “mittelschwerer Arbeit”, 40 Frauen mit “leichter Arbeit”, 56 Männer mit “schwerer Arbeit” und 15 Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren mit “leichter Arbeit”. Die meisten von ihnen wurden im Akkord bezahlt, was die Quantifizierung der Produktionsleistung leicht macht. Ihre Entlohnung richtete sich z.B. nach der Anzahl der produzierten Patronen oder (vor allem, wenn die Arbeiter nur an einzelnen Produktionsschritten beteiligt waren) nach Indexzahlen ihrer Produktion und kann so mit der Produktionsleistung in Beziehung gesetzt werden. Insgesamt wurden die folgenden 122 wöchentlichen Beobachtungen über alle Gruppen hinweg gemacht:

Wöchentliche Produktionsleistung als Funktion der Arbeitszeit von 100 Frauen mit “mittelschwerer Arbeit” und 40 Frauen mit “leichter Arbeit” in britischen Munitionsfabriken. Quelle: [1].
Wöchentliche Produktionsleistung als Funktion der Arbeitszeit von 56 Männern mit “schwerer Arbeit” und 15 Jugendlichen mit “leichter Arbeit” in britischen Munitionsfabriken. Quelle: [1].

Aus den beiden Diagrammen ist gut zu erkennen, dass die Produktionsleistung mit zunehmender Arbeitszeit zunächst deutlich ansteigt, ab einem bestimmten Punkt aber nur noch langsam wächst. Bei sehr hohen Wochenarbeitszeiten (ca. 60-70 Stunden) nimmt die absolute Produktionsleistung nicht mehr zu. Das erscheint mir eine bemerkenswerte Erkenntnis: Es gibt einen Punkt, ab dem die Erhöhung der Wochenarbeitszeit nicht nur einfach zu Ineffizienz führt (weniger Ertrag pro Zeit), sondern ab dem der Ertrag sogar in absoluten Zahlen nicht mehr steigt. Und man kann sagen, wo dieser Punkt liegt.

Pencavel passt in seiner Arbeit verschiedene Kurven an die Daten an. Eine sehr gute Übereinstimmung wird erreicht, wenn ein sogenannter Spline mit einem Knoten bei 49 Wochenstunden verwendet wird. Das bedeutet, dass für den Bereich unter 49 Wochenstunden eine andere Funktion verwendet wird als für den Bereich darüber. Am Knotenpunkt müssen die beiden Funktionen stetig ineinander übergehen und ihre ersten Ableitungen müssen gleich sein. Konkret passt Pencavel das Modell

\begin{aligned}X_t = & \phantom{+.} \left [ a_1 + b_1 \left(H_t - H_0 \right) + c_1 \left( H_t - H_0 \right)^2\right ] D_{1t} \\ & + \left [ a_2 + b_2 \left(H_t - H_1 \right) + c_2 \left( H_t - H_1 \right)^2\right ] D_{2t} + u_{t} \,,  \end{aligned}

an die Daten an, wobei X_t die Produktionsleistung, H_t die Wochenarbeitszeit, H_0 = 24\, \text{h} die kleinste beobachtete Wochenarbeitszeit und H_1 = 49\, \text{h} der Knotenpunkt ist. Die Koeffizienten D_{1t}, D_{2t} sind einfache Indikatorfunktionen, d.h. D_{1t} ist gleich 1 für Wochenarbeitszeiten unter 49 Stunden und 0 darüber, Umgekehrtes gilt für D_{2t}. Die Koeffizienten a_{1}, \dots, c_{2} sind die Fitparameter und u_{t} enthält Einflüsse auf die Produktionsleistung, die hier nicht gemessen werden. Das ist viel mathematisches Geplänkel, um auszudrücken, dass jeweils eine andere quadratische Funktion auf die Daten unter bzw. über 49 Stunden gefittet wird. Das Ergebnis sieht so aus:

Für die Kurve X(Q\, S) wird die obige Funktion direkt verwendet (quadratisch – quadratisch), während für X(L\text{-}QS) die Bedingung c_1 \equiv 0 festgelegt wird (linear -quadratisch). Es ist leicht zu erkennen, dass dies kaum einen Unterschied macht. Damit lässt sich festhalten: Bis zu einer Wochenarbeitszeit von etwa 50 Stunden steigt die Produktivität linear an. Eine zusätzliche Arbeitsstunde führt stets zum gleichen Produktionszuwachs. Oberhalb von 50 Wochenstunden ist dies nicht mehr der Fall. Das lässt sich besonders gut an der relativen Produktivitätsänderung (erste Ableitung der obigen Funktion) erkennen:

Das Marginal Product of Hours (MPH) beschreibt den Produktivitätsgewinn, der durch eine zusätzliche Arbeitsstunde pro Woche erzielt werden kann. Bis 49 Stunden pro Woche ist es konstant – eine zusätzliche Arbeitsstunde bringt immer den gleichen zusätzlichen Ertrag. Ab 50 Stunden pro Woche sinkt das MPH, es werden zwar mehr Stunden gearbeitet, aber der Mehrertrag wird immer geringer. Bei etwas über 60 Stunden wird es schliesslich negativ: Die absolute Produktivität nimmt nicht mehr zu (im Gegenteil, in diesem einfachen Modell nimmt sie sogar ab), auch wenn mehr Stunden pro Woche gearbeitet werden.

Kurz zusammengefasst: Bis zu durschnittlich 50 Stunden pro Woche ist die Arbeit effizient, zwischen 50 und 65 Stunden nimmt die Effizienz ab und ab 65 Stunden macht es schlicht keinen Sinn mehr zu arbeiten.

Diese Zahlen müssen natürlich im Kontext gesehen werden: Sie beschreiben zunächst nur die Arbeit einiger britischer Munitionsarbeiter im Ersten Weltkrieg. Und sie vernachlässigen wichtige Faktoren wie die Zufriedenheit der Arbeiter, ihre Gesundheit oder das Wohlergehen ihrer Familien. Aber selbst aus der Perspektive einer rücksichtslosen Produktionsmaximierung lässt sich feststellen, dass ab einem bestimmten Punkt eine Verlängerung der Arbeitszeit keinen zusätzlichen Ertrag mehr bringt. Und sogar in einer Ausnahmesituation wie einem Weltkrieg und bei ungelernter (und vor allem unkreativer) Akkordarbeit liegt dieser Punkt mit ungefähr 65 Wochenstunden nicht so hoch, wie man vielleicht meinen könnte.

Naja, ich gehe jetzt schlafen…


Quellen

[1] Pencavel, John: The Productivity of Workin Hours. IZA DP No. 8129 (April 2014). Link: https://docs.iza.org/dp8129.pdf (besucht: 2025-01-25).

Quelle Beitragsbild: https://www.thoughtco.com/women-and-work-world-war-1-1222030

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